Ehemalige Salzmannschüler treffen sich zur „Kleinen Kuwalkade ´14“
Von Hans-Christian Piossek
Zwischen Lübz im Norden, Parchim im Westen und Meyenburg im Osten, tief im brandenburgischen Land findet man Kuwalk, einen bewohnten Gemeindeteil des Dorfes Jännersdorf. Hierhin verschlug es am 2. August 2014 acht ehemalige Salzmannschüler der verschiedensten Abiturjahrgänge. Inmitten von Getreidefeldern, nur über einen sandigen Feldweg direkt erreichbar, von hohen Baumgruppen umstanden, liegt ein einsames Gehöft. Hier lebt und arbeitet das Künstlerehepaar Götz und Sibylle Schallenberg auf einem Künstlerhof, wohin sich 1984 der ehemalige Salzmannschüler Götz Schallenberg mit seiner Frau zurückgezogen hat. Er arbeitet hier als Maler, Grafiker und Bildhauer in seinem Atelier. Sibylle Schallenberg ist die Tochter des bekannten Malers Otto Nagel.
Nach dem Abitur 1963 in der einstigen „Salzmannoberschule – EOS“ in Waltershausen-Schnepfenthal (heute Salzmannschule Schnepfenthal – Staatliches Spezialgymnasium für Sprachen) arbeitete Götz Schallenberg ein Jahr lang als Bühnenarbeiter am Landestheater Eisenach, bevor er dann in den Jahren zwischen 1964 bis 1984 in Berlin wohnhaft, das Studium der Geschichte und Kunsterziehung an der Humboldt-Universität absolvierte, das Staatsexamen ablegte, zunächst als Lehrer, dann als Grafiker, Kunstwissenschaftler, Publizist und Direktor des Otto-Nagel-Hauses Berlin tätig war, heiratete und eine Familie gründete. 1979 trat Götz Schallenberg vom Amt des Direktors des Otto-Nagel-Hauses aus Protest zur Kulturpolitik der SED und des Staates DDR zurück. Was folgte waren Austellungsverbot, Götz und Sibylle Schallenberg sowie ihre drei Kinder wurden von der Staatssicherheit überwacht, ausgegrenzt und gesellschaftlich isoliert. Götz Schallenberg bekam als Künstler keine staatlichen Aufträge mehr und musste sich und seine Familie als frei schaffender Gebrauchsgrafiker versorgen. Von den gebotenen zwei Möglichkeiten, die Koffer zu packen und das Ausreiseangebot in den Westen anzunehmen oder sich in die Provinz aufs Land zurückzuziehen, wählten die Schallenbergs die zweite. Sie wagten eine Neuausrichtung des Künstlerlebens am Rande der Prignitz. Zwischen den Mauern des Resthofes, 150 km von Berlin entfernt, entwickelte Götz Schallenberg seine Kunst weiter und verhielt sich auch hier nicht passiv. Er blieb sich in seiner kritischen Außensicht der gesellschaftlichen Verhältnisse treu und engagierte sich 1989 in der „Initiativgruppe Kunst“. Der Fall der Mauer vor 25 Jahren wurde für ihn, wie für viele, zu einem tief bewegenden Erlebnis, welches sich auch in seiner Triotychon-Variante, den Collagen „Fall der Mauer“ (1990 und 2014) ausdrückt. Der Auseinandersetzung mit der deutschen Teilung, dem Verhältnis von Revolution und Diktatur, im Widerstand fallen, wieder aufzustehen, sich nicht beugen zu lassen – war Götz Schallenbergs Ausstellung „Gestern in dieser Zeit“, anlässlich einer Veranstaltung zum Thema „25 Jahre Fall der Mauer“ auf seinem Künstlerhof während der „Kleinen Kuwalkade ´14“ am 2.8.2014 gewidmet. Alljährlich laden Götz und Sybille Schallenberg zur "Kuwalkade" ein. Mit besonderer musikalischer Untermalung werden auf dieser Kunstausstellung die Werke des Künstlers präsentiert. In diesem Jahr hatte die Veranstaltung einen zusätzlich wissenschaftlich-literarischen Höhepunkt. Sandra Pingel-Schliemann las aus ihrem in diesem Jahr erschienenen Buch „Ihr könnt doch nicht auf mich schießen!“ „Das könnt ihr doch nicht machen! Ihr könnt doch nicht auf mich schießen!“, waren die letzten Worte des 21-jährigen Hans-Georg Lemme, bevor er bei seinem Fluchtversuch über die Elbe ums Leben kam. Dieses Buch schildert erstmals umfassend die Geschehnisse an der ehemaligen 231 km langen innerdeutschen Grenze in Mecklenburg in den Jahren 1945 bis 1989. Mit der anschaulichen Darstellung, wie das Grenzregimes im Norden der DDR funktionierte und als System auf die Menschen gewirkt hat, fesselte die Autorin ihre Zuhörer. Unter ihnen die ehemaligen Salzmannschüler, die ohne jede Verabredung aus den verschiedensten Bundesländern angereist waren, um auf der alljährlichen „Kuwalkade“, einer Veranstaltung, die sich unter Kennern inzwischen zu einem lieb gewonnenen Sommererlebnis entwickelt hat, die Ausstellung ihres ehemaligen Mitschülers anzusehen. Während eines abschließenden Open-Air-Konzerts lauschten im Schein der untergehenden Abendsonne alle gemeinsam den Klängen des Saxophonisten Warnfried Altmann in Begleitung des Drummers Willi Kellers. Im Stil des Free Jazz erklangen, ganz dem Thema des Tages angemessen, Melodievariationen, die Verzweiflung, Widerstreit, Hoffnung und Aufbruch auszudrücken vermochten. Unter dem Motto „Keine Gewalt!“ erinnerten die beiden Künstler musikalisch auch an die Forderung vor 25 Jahren und vermittelten ihren Zuhörern mit Blick auf die kriegerische Gegenwart in der Ukraine, Israel und Palästina Hoffnung und einen Ausblick auf die Möglichkeit eines Lebens in Frieden. Wo immer im gesamten Bundesgebiet oder eben in Kuwalk der ehemalige Salzmannschüler Götz Schallenberg seine Bilder ausstellt, werden die Besucher reich beschenkt und zur Auseinandersetzung angeregt, zur nächsten Ausstellung wiederzukommen.