Geachtet und Geächtet - ein Künstlerleben - Götz Schallenberg zum 70. Geburtstag

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Eigentlich sollte dieser Beitrag in „Neue Schnepfenthäler Nachrichten“ erscheinen, doch leider sind sie bisher ausgeblieben. Deshalb soll der Künstler und ehemalige Salzmanier Götz Schallenberg hier gewürdigt werden. Nach 1985 stellt Götz Schallenberg wieder in Schnepfenthal aus (s. Plakat).

Tief im brandenburgischen Land, zwischen Lübz im Norden, Parchim im Westen und Meyenburg im Osten gelegen, nur fünfzig Meter sind es bis zur Mecklenburgischen Grenze, befindet sich Kuwalk, ein bewohnter Gemeindeteil des Dorfes Jännersdorf. Hier in Kuwalk, zwischen Kiefernwäldern, endlosen Getreidefeldern, kopfsteingepflasterten Straßen und sandigen Feldwegen lebt auf einem abseits gelegenen Gehöft das Künstlerehepaar Götz und Sibylle Schallenberg. Hierher auf seinen Künstlerhof hat sich 1984 der ehemalige Salzmannschüler Götz Schallenberg mit seiner Frau Sibylle zurückgezogen und arbeitet als Maler, Grafiker und Bildhauer in seinem Atelier. Sibylle Schallenberg ist die Tochter des bekannten Malers Otto Nagel.

Wer noch den Salzmannschüler Götz Schallenberg kennt, wird verwundert fragen, warum wohl dieser kluge, lebensfrohe Junge in dieser Einöde gelandet sein mag und sein Talent nicht in den Metropolen der Kunst zur Geltung gebracht hat. Sowohl jüngere als auch ältere Schülergenerationen kennen Götz Schallenberg noch unter seinem von unserem Lateinlehrer Walter Schmiga verpassten Spitznamen „Robert“, von manchen der Kürze halber, auch einfach nur „Göscha“ genannt. Das junge aufstrebende Maler- und Dichtertalent ist Lehrern und Schülern in guter Erinnerung. So mancher verfügt noch heute über ein gemaltes Schmuckwerk von Göscha, „Palme, Meer und Sonnenuntergang“ auf einem Zuckersack, als bleibende Jugenderinnerung. Viel mehr in Erinnerung an unsere gemeinsame Salzmanier-Zeit geblieben sind mir allerdings unsere Gespräche über Kunst, über die gegenseitig vorgelesenen, selbstverfassten Gedichte, abends in seinem Internatszimmer bei heimlich auf einem Elektrokocher gebratener Wurst und den aus einem guten Versteck hervorgezauberten Bierflaschen. Wiederentdecken durfte ich 2014 sein Bild „Das Ende der Freiheit“ (1962 Öl auf Pappe), zwei Hände, die sich verzweifelt im Stacheldraht verkrampfen. Auch wenn die Hände ein wenig dunkelhäutig scheinen, so nimmt doch bereits damals der junge Künstler, der seine akademische Kunstausbildung ja noch vor sich hat, Stellung zum Bau der Mauer und dem Stacheldrahtzaun, der Deutschland von der Ostsee bis zum Thüringer Wald durchzog. In diesem Kontext sind auch sein Gedicht „Im Herzen Deutschlands“ und sein Bild „Unbeantwortete Frage“, beide aus dem Jahre 1962 zu verstehen. Der ratlose, junge Mann erhält keine Antwort auf die Frage warum „eine todbringende Furche deutsches Land teilt?“ Auch nicht darauf, warum es nicht gleich nach dem Abitur 1963 mit dem ersehnten Kunststudium weitergehen kann. In Eisenach verdingte er sich deshalb zeitweilig als Bühnenarbeiter am Theater. Künstlerisch nicht untätig, malte, zeichnete und dichtete Götz Schallenberg und hielt Kontakt zu ehemaligen Mitschülern gleichen Interesses. Während des Praktikums in der Gothaer Heinrich-Heine-Bibliothek (1964/1965) meines Leipziger Bibliothekars-studiums trafen wir uns in Gotha und Eisenach und aus dieser Zeit stammen auch zwei von Götz geschaffene Portraits (Öl und Rötel) des 22-jährigen Hans-Christian Piossek, wie auch Briefe und meine längst verschollenen Gedichte, die Götz getreulich aufgehoben und mir nun nach 50 Jahren zurückgeschenkt hat. Als Götz Schallenberg dann in den Jahren zwischen 1964 bis 1984 in Berlin wohnhaft war, das Studium der Geschichte und Kunsterziehung an der Humboldt-Universität absolvierte, das Staatsexamen ablegte, zunächst als Lehrer, dann als Grafiker, Kunstwissenschaftler, Publizist und Direktor des Otto-Nagel-Hauses Berlin tätig war, heiratete und eine Familie gründete, verlor sich leider unser Kontakt, der sich erst zum Jubiläumstreffen 1994 kurz, intensiv aber nach dem Treffen zum 50-jährigen Abitur 2013 wieder entwickelte. 1979 trat Götz Schallenberg vom Amt des Direktors des Otto-Nagel-Hauses aus Protest und im Widerspruch zur Kulturpolitik der SED und des Staates DDR zurück. Was folgte waren Austellungsverbot, Götz Schallenberg, seine Frau Sibylle und ihre drei Kinder wurden geschnitten, von der Staatssicherheit überwacht, ausgegrenzt und gesellschaftlich isoliert. Götz Schallenberg bekam als Künstler keine staatlichen Aufträge mehr und musste sich und seine Familie als frei schaffender Gebrauchsgrafiker wirtschaftlich versorgen. Das freiwillige Ende des Lebens im Widerspruch zum Kulturbetrieb der DDR zehrte nicht nur an der materiellen, sondern auch an der psychischen Existenz der Schallenbergs, die sich nicht allein von den alltäglichen Repressalien bedroht fühlten, sondern sie waren auch dem Würgegriff von Partei und Staat auf das Familienerbe von Otto und Wally Nagel ausgesetzt. Welche Möglichkeiten blieben da noch? Die Koffer packen und das Ausreiseangebot in den Westen annehmen oder sich in die Provinz aufs Land zurückziehen? Die Schallenbergs wählten die zweite Möglichkeit und damit auf den Abbruch nicht der völlige Zusammenbruch folgte, wagten sie einen Aufbruch, eine Neuausrichtung des Künstlerlebens am Rande der Prignitz. Zwischen den Mauern des Resthofes, 150 km von Berlin entfernt, entwickelt Götz Schallenberg seine Kunst weiter und verhielt sich auch hier nicht passiv. Er bleibt sich treu und behält seine kritische Außensicht. Was ihn in den Jahren der Repressionen durch die DDR-Kulturpolitik, was ihn in den Jahren des Aufbruchs zwischen 1984 und 1990 bewegte, was ihn unverwechselbar schon als jugendliche Künstlerpersönlichkeit ausmachte, er blieb ein politisch-kritisch denkender und handelnder Maler, Grafiker und Lyriker, der öffentlich Stellung nimmt. Davon konnten sich seine Malschüler aus Ost und West seiner nach 1990 auf Kuwalk errichteten privaten Malschule und können sich die Besucher seiner zahlreichen Ausstellungen, ob im gesamten Bundesgebiet, auf seinen Schiffsreisen in alle Welt oder alljährlich zur "Kuwalkade" auf seinem Künstlerhof überzeugen. Im Jahr 2014 entstand eine Triptychon-Variante als Collage zu seinem 1990 gleichnamig entstandenen Werk „Fall der Mauer“. Aufbegehren und Selbstbehauptung sprechen aus seiner 1983 entstandenen Papiercollage „Ich war, ich bin, ich werde sein“. Auch wenn Ikarus zu hoch flog und sich die Flügel verbrannte, seinem Sturz folgte das Auferstehen wie Phönix aus der Asche. So wie sich der Künstler Götz Schallenberg nicht beugen ließ und seiner Mission treu bleibt, die Herzen der Menschen mit seiner Kunst zu rühren und mit ihnen im Dialog zu bleiben. Wie Prometheus will er mit seinen Bildern das Feuer der Freiheit gedanklich immer wieder entfachen. „Wahrscheinlich besteht die Integrität dieser Kunst gerade darin, dass sie sich um Vorgaben und formale Pflichten einen Teufel schert, so wie der Museumsdirektor Schallenberg sich einen Teufel um seine Bequemlichkeit scherte, und sich einen Kunstwissenschaftler in der Entmündigung einfach nicht vorstellen konnte.“, schreibt ein anderer Kunstwissenschaftler über ihn. Die Integrität seiner Kunst erwächst für mich aus der Integrität seiner Persönlichkeit, der er von Jugend an treu geblieben ist.

Am 2. Februar 2015 wurde Götz Schallenberg 70 Jahre alt. Ausstellungen in Potsdam, Kuwalk und Waltershausen-Schnepfenthal ehren sein Schaffen und eine integre Künstlerpersönlichkeit. Ad multos annos! Gesundheit und noch viele Bilder, die mahnen und berühren wünschen wir ihm und uns. Herzlichen Glückwunsch lieber Freund und Salzmanier!

Hans-Christian Piossek